Regeln und Erwartungen:

Es fällt mir schwer, hierüber überhaupt etwas zu schreiben, weil ich den Individualismus dem Gruppenzwang vorziehe. "Spaß haben" und "Regeln einhalten" stehen manchmal nicht im Einklang.

Als die Teilnehmerzahl Jahr für Jahr stetig anstieg, habe ich mir vor jeder Tour den Kopf zerbrochen, wie wir diese große Gruppe am besten ins Ziel bringen. Ich war vorher nie mit mehr als 5 Motorrädern unterwegs gewesen und wollte auch nicht mit stringenten Regeln für "Ordnung" sorgen müssen. Eher würde ich die Teilnehmer in kleinere Gruppen aufteilen. Bisher hat es aber jedes Mal  besser funktioniert als erwartet und wir fuhren immer in der großen Gruppe zusammen.

Es gibt mehrere Faktoren, die es ermöglichen, dass jeder seinen Spaß hat:

Kommunikation

  • Wir nutzen beim Fahren eine Funksprechverbindung, um die Gruppe besser zusammenhalten zu können. Da dürfen die Teilnehmer auch mal über 1-2 km verstreut sein ohne dass es zum Problem wird. Beim Abbiegen sollte jeder auf seinen Hintermann warten. Normalerweise warte ich sowieso, bis ich per Funk von hinten Bescheid bekomme, dass alle da sind. Die permanente Kommunikation erspart uns unnötige Stopps zum Einfangen von Verirrten.
  • Beim Losfahren nach einer Pause ist es manchmal schwierig zu erkennen, ob alle fertig sind. Deshalb fahre ich zunächst einige Meter vor und halte an der nächsten günstigen Stelle noch mal rechts an. Das ist das Zeichen für alle, dass es losgeht. Dann sollte jeder bis zu mir fahren und sich abfahrbereit halten. Sobald sich alle von der Stelle bewegt haben, wird gestartet.
  • Im Zeitalter der Mobiltelefone hilft im Fall der Fälle auch mal ein Anruf. Lieber fahre ich einmal in 10 Jahren ein paar km zurück, als jedes Jahr 1000 km am Stück in fester Formation. 

Verantwortung

  • Es gerät in einer großen Gruppe leicht in Vergessenheit: Jeder ist für das Tempo, das er fährt, selbst verantwortlich. Keiner muss schneller fahren, als er will. Jeder sollte sich an den eigenen Vorlieben orientieren und sich nicht durch andere Teilnehmer beeinflussen lassen. Es ist völlig normal, dass nicht alle gleichzeitig über die Ampel kommen oder überholen können. Es kann auch mal sein, dass ich vorne ein Tempolimit übersehen habe - jeder ist gefordert, das zu tun, was er selbst für richtig hält.
  • Alle Teilnehmer sollten in der Lage sein, ein Zwischenziel oder das Tagesziel notfalls auch ohne Führung zu erreichen. Dazu verteile ich morgens vor der Abfahrt einen detaillierten Routenplan an alle Fahrer. Darauf befindet sich eine Karte mit allen wichtigen Informationen.

Vorbereitung

  • Die Tour ist anspruchsvoll und anstrengend - es wird jeden Tag von 9:00 - ca. 18:00 Uhr gefahren. Die Erfahrungen aus den Vorjahren ermöglichen es, die Pausen an den richtigen Stellen einzuplanen. Trotzdem ist es gut für alle Teilnehmer, fit und geübt zu sein. Das gilt auch für Beifahrer.
  • Die Strecken, die wir fahren, sind landschaftlich interessant und streckenweise sehr wenig befahren (besonders die Pässe in den französischen Alpen). Manchmal gab es auf bestimmten Strecken mehr Murmeltiere als Autos zu sehen. Dort ist es leichter, eine große Gruppe zusammen zu halten und wir fahren oft individuell mit Treffpunkt auf der Passhöhe.

Rücksichtnahme

  • Es gibt keinen Gruppenzwang. Wenn Teilnehmer eine andere als die geplante Strecke wählen wollen, ist das kein Problem. Es gibt genügend Treffpunkte, wo man sich wieder zusammenfinden kann.
  • Die Gruppe findet meist ein Tempo, mit dem jeder klar kommt und Spaß hat. Außerdem nehmen die Schnelleren gerne eine kurze Wartezeit in Kauf, wenn sie dafür vorher auf einer reizvollen Strecke mal lustig am Gas drehen konnten. Die Gemütlicheren wissen das, müssen niemanden hinterher hetzen und können ihren eigenen Rhythmus genießen.
  • Überholmanöver sind zulässig, sollten aber möglichst im sicheren Einvernehmen ablaufen. Wer mich überholt, muss den richtigen Weg kennen, weil es gilt weiterhin: "Wo ich bin, ist vorne."

Unfälle

In den früheren Jahren kam es auf der Tour zu einigen, bisher immer glimpflichen Vorkommnissen. Zu beklagen waren kleine Blessuren, leichte Schäden, die die Weiterfahrt nicht verhindert haben und ein Vollkaskofall. Ursachen: Konzentrationsfehler wie das Übersehen von unerwarteten Bremsmanövern der Vorderleute, überfahren von Ölflecken und falsche Einschätzung des Streckenverlaufs. Außerdem gab es mal einen unerwarteten Gripverlust und Kontakt mit Autofahrern im turbulenten Verkehrsgedrängel an der Cote d'Azur. 

Auch wenn es bislang keine nennenswerten Verletzungen gab, würde ich mich freuen, wenn wir weiter an die problemlosen Jahre von 2012 bis heute anknüpfen können.